Offener Brief an die Bundesinnenministerin und die Landesjustizministerin der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zur Flüchtlingssituation im Landkreis Reutlingen
In der letzten Kreisverbandssitzung der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der Städte und Gemeinden des Landkreises Reutlingen wurde die prekäre Situation der Flüchtlingsunterbringung im Landkreis Reutlingen und deren unmittelbare Auswirkungen auf alle Städte und Gemeinden des Landkreises besprochen.
Im Jahr 2022 hat Baden-Württemberg rund 178.000 Geflüchtete aufgenommen, darunter rund 27.800 Asylbegehrende, rund 146.300 Geflüchtete aus der Ukraine, wovon rund 46.700 vorübergehend in der Erstaufnahme untergebracht wurden, sowie rund 3.400 weitere Einreisende im Rahmen der humanitären Aufnahme.
Damit wurden im Jahr 2022 deutlich mehr Personen aufgenommen als im gesamten Jahr 2015, dem Höhepunkt der damaligen Fluchtbewegungen, und dem Jahr 2016 zusammen.
Von Januar bis Juli 2023 haben 20.221 Personen in BW einen Asylerstantrag gestellt. Dies sind mehr als doppelt so viele wie zur selben Zeit im Vorjahr (9.988). Stand 25.08.2023 befinden sich aktuell 173.267 gemeldete ukrainische Flüchtlinge in Baden-Württemberg.
Die umfangreiche Aufnahme Geflüchteter in diesem Jahr und den vergangenen Jahren ist ein eindeutiger Beleg dafür, dass die Gemeinden, Städte und Landkreise in Baden-Württemberg sich zu ihrer humanitären Verantwortung wie kaum anderswo innerhalb der EU bekennen. Nicht zuletzt auch durch die vielerorts weitreichende Unterstützung in Form von bürgerschaftlichem Engagement wurden die verfügbaren Kapazitäten bei der Unterbringung, Begleitung und Integration der Geflüchteten mobilisiert.
Gleichwohl ist es auch kommunalpolitische Aufgabe, die Grenzen des vor Ort Leistbaren zu erkennen und im Sinne eines gesamtverantwortlichen Handelns auf ein gutes Miteinander innerhalb der Ortsgemeinschaft zu achten. Hierzu gehört auch, dass im Angesicht abnehmender Akzeptanz die Zugänge von geflüchteten Personen nicht dauerhaft weiter ansteigen können.
Mittlerweile sind die Kapazitäten für die Unterbringung von Geflüchteten bei den Städten und Gemeinden im Landkreis nahezu erschöpft. Stand heute sind von den Städten und Gemeinden seit Anfang 2022 insgesamt rund 4.200 Geflüchtete (aus der Ukraine und anderen Herkunftsländern) untergebracht worden. Die Prognose geht davon aus, dass allein bis Jahresende nochmals mit etwa 1.300 Geflüchteten im Landkreis zu rechnen ist. Schon jetzt sind die Integrationsressourcen jedoch überlastet: In den Kitas gibt es keine freien Plätze mehr, die Schulen sind voll, die ärztliche Versorgung über der Belastungsgrenze und auch Sprachkurse sind nicht annährend in ausreichendem Maße verfügbar. Das Personal in den Städten und Gemeinden und auch die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer arbeiten weit über ihrem Limit. Die Grenzen des Machbaren sind erreicht!
Den Städten und Gemeinden ist durchaus bewusst, dass sie rechtlich verpflichtet sind, im Rahmen der Geflüchteten-Aufnahme für Unterbringungsmöglichkeiten zu sorgen. Ohne das außerordentliche Engagement aller Akteure und der ehrenamtlich Engagierten sowie die Unterstützung aus der Bevölkerung in der Zurverfügungstellung von Wohnraum wäre diese Aufgabe schon jetzt nicht mehr leistbar. Festzuhalten gilt aber, dass wir auf eine Überforderung des Gemeinwesens zusteuern und aktuell weder Bund noch Land Sorge dafür tragen, dass den Städten und Gemeinden wirksam geholfen wird. Wir alle fühlen uns schlicht und ergreifend im Stich gelassen.
Wir fordern deshalb sofortige, schnelle und wirksame Maßnahmen sowie Entscheidungen seitens des Bundes und des Landes, welche uns in die Lage versetzen, die Herkulesaufgabe der Geflüchteten-Unterbringung meistern zu können.
Für alle Städte und Gemeinden des Landkreises Reutlingen.
(Unterschriften)
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Bild zur Meldung: Briefumschlag